Die Lebensdaten von Sun Tsu (Sunzi, Sun Tsi, Sun Tzu) sind bis heute nicht ganz genau geklärt.
Nach der ersten Biographie über ihn aus dem 1.Jahrhundert vor Chr. hat er wahrscheinlich im 6.Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung gelebt und war der Feldherr des Königs von Wu. Zu dieser
Zeit war China in viele verschiedene Königreiche geteilt, so dass es beständig zu Kriegen kam. Als Militärführer soll er ungeschlagen geblieben sein.
Es gibt aber auch die Annahme, dass er im 4.Jahrhundert v.Chr. lebte, oder dass es sich bei ihm um eine Zusammensetzung aus verschiedenen historischen Personen handelt, von denen eine u. a.
der Feldherr Sun Bin ist.
Auch wenn die genauen
Eckdaten vage sind, ist das Entscheidende der Einfluss, den sein Buch “Die Kunst des Krieges” bis in die heutige Zeit ausübt.
Es handelt sich dabei um eine Beschäftigung mit dem Phänomen des Krieges, welches auf alle Gesellschaftssysteme gleichermaßen anzuwenden ist. So sollen sich z. b. Napoleon (wobei Sun Tsu zu
dem Russlandfeldzug sicherlich nicht geraten hätte) und Mao dieses Werkes gleichermaßen bedient haben. In diversen Militärakademien, auch in den USA, gehört die “Kunst des Krieges” zur
Basisliteratur. Da fragt man sich nur, was davon verstanden wurde, denn von den amerikanischen Kriegen – dem Vietnamkrieg und den katastrophalen Kriegen der letzten 12 Jahre – hätte Sun Tsu
mit Sicherheit keinen geführt. Sun Tsu sagt, dass es kein Beispiel gibt, wo ein Land aus einem langen Krieg Gewinn gezogen hat. „Der fähige General befiehlt keine zweite Aushebung und seine
Vorratswagen werden nicht mehr als zweimal beladen. Wenn der Krieg erklärt ist, verschwendet er keine Zeit, indem er auf Verstärkung wartet, und er läßt seine Armee nicht kehrtmachen, um
Vorräte aufzunehmen, sondern er überschreitet ohne Verzögerung die Grenze des Feindes. Der Zeitvorteil – das heißt, dem Gegner ein wenig voraus zu sein, war häufig wichtiger als
zahlenmäßige Überlegenheit oder die schönsten Rechenbeispiele mit dem Nachschub.”
Die von ihm aufgestellten Konzepte haben gerade durch ihre Zeitlosigkeit ihren Reiz. Hierbei unterscheidet sich „Die Kunst des Krieges“ erheblich von Clausewitz Hauptwerk “Vom Kriege”, das eine Reaktion auf die Französische Revolution und die Niederlage der preußischen Armee in den Koalitionskriegen gegen die französischen Revolutionstruppen war. Dabei geht Clausewitz auf die Veränderung der Strategie durch die Nationalbewegungen ein. Die Kabinettskriege des 18.Jahrhunderts – angefangen mit dem spanischen (1701 – 1714) bis zum bayrischen Erbfolgekrieg (1777 / 78), dem sog. „Kartoffelkrieg“ - zeichneten sich dadurch aus, dass sie mit Söldnerarmeen geführt wurden, die von dem Herrscher bezahlt werden mussten. Deshalb wurde mit dem Menschenmaterial auch in so fern „vorsichtig“ umgegangen, weil kein Monarch es sich aus Kostengründen erlauben konnte auf einen Schlag seine ganze Armee zu verlieren.
Bei Sun Tsu sind Materialschlachten dagegen verpönt. Es geht primär darum eine Auseinandersetzung erfolgreich zu bestreiten. Am Besten durchkreuzt man die Strategie des Gegners und erreicht sein Ziel ohne Kampf. Sollte ein Kampf unvermeidlich sein, geht es darum ihn so schnell und überraschend wie möglich zu führen. Dabei gehört die Täuschung und die Vorspiegelung falscher Tatsachen auch zu der Strategie des Sun Tsu. Auch wenn diese Lehre komplett pragmatisch ist, so ist sie doch auf keinen Fall amoralisch. Im Gegenteil. Der Gipfel der Amoralität ist für Sun Tsu Kraft und Energie sinnlos zu verschwenden. Das dümmste ist für ihn „befestigte Städte zu belagern“, denn das dauert zu lange, kostet massive Vorbereitungen und die Verpflegung einer großen Armee ist auch problematisch. „Kann der General seinen Zorn nicht zügeln, schickt er seine Männer gleich ausschwärmenden Ameisen in den Kampf mit dem Ergebnis, dass ein Drittel seiner Männer erschlagen wird“. Dieses Phänomen gab es zuhauf im ersten Weltkrieg.
“Bewege Dich nicht, wenn Du keinen Vorteil siehst; setze Deine Truppen nicht ein, wenn es nichts zu gewinnen gibt; kämpfe nicht, wenn die Lage nicht kritisch ist. Kein Herrscher sollte Truppen ins Feld schicken, nur um einer Laune nachzugeben; kein General sollte aus Verärgerung eine Schlacht beginnen. Zorn mag sich mit der Zeit in Freude verwandeln; auf Verärgerung mag Zufriedenheit folgen. Doch ein Königreich, das einmal zerstört wurde, kann nie wieder errichtet werden; auch die Toten können nicht wieder ins Leben zurückgeholt werden” .
Wichtig ist für Sun Tsu immer das Erkennen von sich selber und dem Gegner. Er sagt, dass nur wer sich selber und den Gegner kennt, immer siegreich sein wird. Wer sich selber kennt und den Gegner aber nicht, wird für jeden Sieg auch eine Niederlage erleiden. Wer sich selber und den Gegner nicht kennt, kann nur verlieren.
Hierin sieht man, dass der Kampf kein Selbstzweck ist. Es geht ums Gewinnen und nicht ums Kämpfen. Der siegreiche Stratege sucht den Kampf in dem Moment, wo der Sieg bereits errungen ist,
wogegen einer der zum Untergang verurteilt ist zuerst kämpft und dann den Sieg sucht. Es geht in erster Linie darum keinen eigenen Schaden zu erleiden, bzw. diesen zu minimieren.
Das beherzigen der Leitsätze von Sun Tsu würde sicherlich die meisten Kriege verhindern, denn nach ihm ist das wahre Ziel des Krieges der Frieden.
Das faszinierende von Sun Tsus “Die Kunst des Krieges” ist sicherlich die Zeitlosigkeit der dort aufgestellten Prinzipien. Ihre Gültigkeit ist unabhängig von Gesellschaftssystem oder politischer Zielsetzung. Diese Strategien sind anwendbar auf fast alle Bereiche des Lebens, sei es in der Familie, am Arbeitsplatz oder auch in einer juristischen Auseinandersetzung. Durch die Beherzigung, bzw. Beherrschung der von Sun Tsu aufgestellten Prinzipien entfielen viele nutzlose Kämpfe und es blieben mehr Kapazitäten für sinnvolle Dinge übrig.
Text: Hartmut Gebelein
Illustrationen zu “Kunst des Krieges”: Dobrochna Walicka 2012